Etappe 20: Niederjossa - Rotenburg an der Fulda 48 km
Nach unserem Ruhetag in toller Bauernhof-Idylle radelten wir heute weiter nach Rotenburg an der Fulda. Nachdem wir uns von Kühen und Ponys verabschiedet hatten, schwangen wir uns auf unsere Drahtesel
und radelten los. Ein weiteres kleines Highlight ist, dass wir heute höchstwahrscheinlich Halbzeit für unsere Tour feiern können. Wir haben inzwischen knapp 750 Kilometer zurückgelegt. Mittlerweile
sind wir geographisch auf einer Höhe mit Köln, Erfurt und bald auch unserer alten Heimat Leipzig. Wir sind also auch ansonsten mitten in Deutschland angekommen.

Auf dem Fuldaradweg vor Bad Hersfeld.
Der Radweg entlang der Fulda ist weiterhin perfekt ausgebaut und bei wenig Steigung ging es auch zügig voran. Das sommerliche Wetter bei strahlend blauem Sonnenschein machte uns erstaunlich wenig
aus. Durch grüne Wiesen kamen wir schnell in Bad Hersfeld an, was viele Menschen vermutlich nur als Absender ihrer Amazon-Pakete kennen. Der Internetriese hat hier ein ebenso gigantisches
Logistikzentrum hochgezogen, an dem wir auch vorbeifuhren. Es glänzte jedoch vor allem durch graue Tristesse. Generell ist Bad Hersfeld durch seine zentrale Lage innerhalb Deutschlands ein
riesiger Logistikstandort geworden. Was sicherlich für den Wohlstand der Einwohner sorgt, macht es für Besucher ziemlich unattraktiv. Mit Großstadtflair ging es am bislang hässlichsten Teilstück
für einige Kilometer entlang einer vielbefahrenen Zubringerstraße, an der sich LKW an LKW aneinanderreihten. Man konnte sein eigenes Wort kaum verstehen und hat sicherlich auch ordentlich
Feinstaub inhaliert.

Die „Alte Fulda-Brücke“ in Rotenburg.
Nachdem wir all die Tristesse hinter uns lassen konnten, wurde es entlang der Fulda genau so schön, wie es schon vor Bad Hersfeld war. Bezeichnenderweise sind wir inzwischen auch auf der
„Deutschen Märchenstraße“ unterwegs. Sie startet im hessischen Hanau und folgt verschiedenen Wirkungsorten der Gebrüder Grimm und anderer Märchenautoren. Mit Kassel und Göttingen liegen auch noch
zwei bedeutende Orte, in denen die Brüder gelebt haben, als Etappenorte auf unserem Plan. Das malerische Tal der Fulda war Vorbild und Handlungsort für einige der Märchen, die die Geschwister
sammelten.

Der Planetenweg mit der Sonne aus Beton. 40 Meter weiter begegnete uns als wenige Millimeter großes Kügelchen die Erde.
Toll war auch noch ein „Planetenweg“ entlang unseres Radweges. Hier wurde maßstabsgerecht die Sonne und die jeweilige Entfernung der einzelnen Planeten anschaulich gemacht. Wir haben uns dabei den
Spaß gemacht und mit unserem Tacho überprüft, welcher Planet, wie weit entfernt ist. Die Erde hatten wir bereits nach 40 Metern erreicht. Der größte Planet unseres Sonnensystems, Jupiter war schon
knapp 800 Meter entfernt, während Neptun, der äußerste Planet, stolze 1,9 Kilometer entfernt lag. Wir hielten an jeder Schautafel und waren wirklich beeindruckt, wie groß die Entfernungen im
Sonnensystem tatsächlich sind.

Der Zirbes-Brunnen in Rotenburgs Altstadt.
In Rotenburg angekommen, nutzten wir die Zeit bis zum Abendessen, um den Ort zu erkunden. Wir waren ziemlich überrascht, wie schön die Stadt ist, die wir vorher kaum kannten. Eine wunderbar
kleine Altstadt mit ganz vielen Fachwerkhäusern bot sich uns. So sind wir durch die Gassen geschlendert und waren immer wieder erstaunt, welch eigentümliche Schönheit dieses Städtchen
ausstrahlte. Deshalb haben wir auch beschlossen, den morgigen Vormittag hier zu verbringen. Eine relativ kurze Etappe erlaubt uns diesen Luxus.
Rotenburg hat einiges an Historie zu bieten. Auch, wenn er nicht die bekannteste Persönlichkeit ist, die hier im Ort gewirkt hat, möchten wir dennoch Günter Schabowski erwähnen. Er war jener
SED-Funktionär, der am Abend des 9. November 1989 mit den folgenschweren Worten „Das tritt nach meiner Kenntnis...ist das sofort, unverzüglich“ zum Inkrafttreten der neuen
DDR-Reiseregelung versehentlich den Fall der Berliner Mauer und somit auch die deutsche Wiedervereinigung in Gang setzte. Ironischerweise machte er sich selbst damit arbeitslos und erst 1992
konnte er in eben jenem Rotenburg an der Fulda bei einer Lokalzeitung als Redakteur wieder Fuß fassen. Wir sind ihm deshalb zu größtem Dank verpflichtet, denn ohne ihn hätten Bea und ich diese
Tour nicht machen, noch wären wir vermutlich jemals verheiratet gewesen. Dafür gebührt ihm ein großes Dankeschön!
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